Kunstbeerdigungsinstitut Gottsdorf

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von Prof. Dr. Bernd Rosner am 8. Mai, Tag der Befreiung

Weihe des Kunstfriedhofs, Gottsdorf, Himmelfahrt 1997

Liebe Kunst- und Weihegemeinde!

Wenn diese oder jene Kunst gestorben ist, so sollte sie begraben werden. Denn dies ist das einzig Würdevolle, was ihr noch bleibt. Sie sollte nicht achtlos weggeworfen werden – hinunter und vorbei –, am Wegesrand nicht herren– und lieblos verrotten, gar misstrauisch beäugte, weil gefährdend kontaminierte Sondermülldeponien bilden. Sie hat dies nicht verdient, stecken doch in ihren Artefakten Herzblut, Geist, Enthusiasmus, Lebendigkeit und die Freude am Dasein. Doch alles ist eben vergänglich. Was ehemals mit brodelnder, ungebändigter Begeisterung geschaffen im Heute, fällt schon morgen oft ins verstaubte Panoptikum der erstorbenen Wünsche, der überlebten Vorstellungen verlorengegangener Selbstbilder. Mit dem Tod wird ständig aufs Neue der Zweifel geboren: Was soll´s, was bringt´s – bringt´s überhaupt was? Doch die erdrückende Menge ehemals freudig Geschaffenen würde lähmen, stünde sie auf ewig sichtbar und mumifiziert vor unseren Augen. Die Inflation der bewahrten Nachlässe brächte den Tod des Schöpferischen hervor. Die Last des Überkommenen – der „Nachteil der Historie für das Leben“, wie Nietzsche das nannte – brächte das Zirkuläre lustvoller Kunstprodukten unter seinen saftlosen Spinnweb zum Erliegen. „Staubig“ ist auch die ästhetische Grundeigenschaft aller Museen und Depots – im stofflichen wie im geistigen Sinne. Tot restauriert, tot geguckt – tot geschaut, abgegriffen; medial vernutzt, zerredet, zu Tode beschrieben, die Bedeutungen verheizt. Das keimende Neue erstickt unter dem Mahlstaub der Geschichte – erschlagen in den Folianten der Kunstgeschichte- und Theorie. Destruktiver Protest bleibe so die einzige Daseinsweise und Wirkungsart aktueller Kunst, aber letztendlich verkümmern im Bedeutungslosen: Es fehlte jedwede kreative Lust am lebensbejahenden Bekenntnis. Kunst als Totenkult wäre nicht das Gelbe vom Ei.

„Begräbnis“ hieße hier somit das würdevolle Verschwinden lassen des nicht mehr Brauchbaren, des Langweiligen, Ausgelaugten, der verstorbenen Untoten, der Zombies und Mumien, der Kadaver wie sonstiger sich auflösender Relikte. Doch Kunst ist nicht Gruseln, also weg damit: Loslassen können/loslassen lernen. Wer kennt das nicht, die ehemals so sehnend erworbenen, begeistert geschaffenen, heimlich erträumten Gegenstände, Dinge, Erlebnisse, die Erfüllung verhießen, die man – unmerklich erst, dann offensichtlicher, dann zwingend fast und voller Abneigung und Widerwillen, – nicht mehr sehen kann! Die sich im Gang der Jahre, im Wandel der Zeiten und Geschmäcker ins Reich des Überdrusses, gar der Lächerlichkeit des peinlich Weltfremden begaben! Die sich – wie alles fast – als vorläufig erwiesen. Was also tun damit, ohne die schönen Stunden, die sie bereiteten, die nun Erinnerung sind, unseren Charakter und seelischen Reichtum prägten, gleich auch zu zerstören? Den totalen Schnitt zu Etwas, das wir auch waren, zu vollziehen? Ihnen also – und damit den mit ihnen verbundnem Erleben – die Würde zu rauben?

Kunst jedoch als Kunst verschwinden lassen, hieße aus dem Verschwinden lassen eine Kunst zu machen! Die Kunst des Kunstbegräbnisses: Einen Platz zu finden, der die gestorbnen Projekte und Objekte, die Reste und Relikte, die den Blick aufs Neue verstellen, den Platz für jenes raubten, in sich nehmen könnte; Bühne, Tempel, Weihestätte wäre für Wandlungen, für die Auflösungen und Zersetzungen ins wieder Reine – in den Humus wieder fruchtbaren und brauchbaren Materials.

Doch die Zeiten sind schwierig. Orientierungen fehlen – das sichere Meinen darüber, was eigentlich Kunst sei, ist abhanden gekommen. Es wird sich in einer auf allgemeinen Konsequenz beruhenden, verbindlichen, gar metaphysisch transzendenten Art niemals wieder durchgehend behaupten können. Die Gefahr „Missgeburten“, gar „Ungläubige“ und „Ungläubiges“ in geweihter Erde beizusetzen, ist groß! Deshalb ein kleiner Exkurs darüber, was heute noch Kunst sei – seien könnte – um z. B. jenen materialaufwendigen Missverständnissen, die keiner haben will, die am Tropf überlebter Vorstellungen unverbesserlicher Nostalgiker hängen, doch noch entgehen zu können. Der Volksmund meint heute noch, Kunst käme von Können. Doch das nun können wir wiederum getrost beiseite lassen als verbindliche Definitionen. Es war schon immer nur die Sicht von außen, auf die Beherrschung bloßer Mittel und nicht aufs Eigentliche: Können ist Handwerk, wenn’s hoch kommt „Kunsthandwerk“, doch heute längst ertränkt und obsolet geworden in der überbordenden Menge perfekter Industrieprodukte von mikroskopischer Feinheit, höchster Funktionalität und eignem ästhetischen Reiz. Denn auch die Wahrnehmung des Schönen, des Interessanten, des begehrenswerten Dinges, welches Rang und Bedeutung seines Nutzers, Besitzers, Verbrauchers signalisierte, ist längst eine andere als die des bloß handwerklich Gekonnten. Aller Reiz ist doppeldeutig: Das kalte seriell Technoidee ist „schön“ – bedeutet Dynamik, Erlebnis, ist das neue Abenteuer, das „Surfen auf der Datenautobahn“, ist das offene Spiel virtueller Möglichkeiten: Ziellos, beschleunigt und „kalt“. Doch schön ist deshalb auch die von diesem provozierte Gegengewalt, das was gegen das glatt Gekonnte, gegen das Glänzendperfekte inszeniert erscheint: Roh und archaisch, die gröberen Spuren des bloßen Gemachtseins zeigend, die Sehnsucht nach dem Vermissten, dem vermeintlichen Ursprung, dem magischen Zauber naturnahen Materials verkündend. Das Belassen der Spuren auch ungeschicktesten Tastens nach Form und Ausdruck als Zeichen von Kraft. Doch das kann nie wieder sein jenes Ummittelbare, was da bewundernd erkannt wird in der alten Kunst der vorindustriellen Zeitalter. Es ist ironisch-liebevolle, spottend-verehrende Inszenierung des Entschwundenen, ist historisierend eklektisch und ein Zeichen emotionaler Berührtheit, großer Wehmut – wie geistiger Unbeweglichkeit im schlimmeren Fall; Rückfall in frühere Stadien technischer Unschuld und eines gläubigen Lebens in Mythen bewahrt. Doch das Ende des Mythos ist da! Begraben jener unter dem Ansturm intellektueller Redlichkeit, merkantil-technologischer Kälte, längst beerdigt in der Tiefensicht heutigen Seins. „Kunst bringt Gutes“ sagte die Spätromantik, meinte die harmlose Biederkeit der und mancher „kleinen Leute“, die die Welt zu allen Zeiten harmonisch, überschaubar, ruhig, heimelnd, gemütlich wollten. Kunst als Gewerbe und gemütvolle Dekoration. Braves Gefühlsleben zeitigt Idylle. Die sauber gelegte Tischdecke. Das halte man nun wie man wolle, doch ist das Eigentliche der Kunst längst darüber hinaus – weilte wohl auch nur in unsicheren Zeiten in biedersinnigen Niederungen der ästhetischen und sonstigen Harmlosigkeit. Kunst wurde dann zwangsläufig – im Ersticken unter Gefälligkeiten und ängstlichen Opportunsein – Widerstand, Aufbruch, Provokation. Expressionismus, Futurismus, Ausdruckswut; die Verweigerung von Sinn und biederer Vernunft, DADA als „Anti-Kunst“. Doch da Kunst Kunst wohl bleibt – eingeschlossen im Zirkel ihrer Institutionen, die Werke starre Gegenstände –, ist es auch nur neuer Wein in alten Schläuchen. Auch die Provokationen sterben. Stehen dann harmlos ungefährlich neben den Gegnern von einst. Die Aura verfällt – manches enthüllend in seiner Mittelmäßigkeit. Denn auch all das wird verdaut von der großen Kapitalmaschine allumfassender Verwertung, manches ausgeschieden, später mitunter als wieder interessantes, weil inzwischen vergessene Exkrement wiederentdeckt. So füllen sich Museen. Doch das Dauernde von Kunst ist das Leben – und damit die Kunst längst auf dem Weg zum Absurden! – Vor über einhundert Jahren meinte ein Kunsttheoretiker Alois Riegl, das „Kunstwollen“ ist die Mutter/der Vater vom Ganzen. Die „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte“ beschrieb Max Dvorcak. Hundert Jahre später erschuf der große Beuys den „erweiterten Kunstbegriff“, denn „jeder Mensch ist ein Künstler“ und „Alles ist Kunst“ – doch wenn alles Kunst sei, ist Kunst NICHTS, löst sich auf und zieht sich zurück in geweihte Bereiche des „interesselosen Wohlgefallens“ (Immanuel Kant) der kommerziellen Interessen der Märkte. Deshalb gilt auch längst nicht mehr, dass Kunst sei, „was Künstler machen“. Es ist die formlose Leerformel, welche der reale Apparat des „Betriebssystems Kunst“ (W. Herzogenrat) verwerten kann: Eine unendliche Produktion des Beliebigen, eine autonome Selbstfeier mit dem Höhepunkt des gelungenen Tauschaktes. Weiterhin: Eine Inflation von Hervorbringungen – mit enormer Sprengkraft aus Mengengründen. Deshalb Kunst-Bei-Setzung!

Kunst heißt eine Form finden. Doch da nun die Formen beliebig und inszeniert geworden sind mit dem Höhepunkt der Simulation – sie meinen nicht mehr das, was sie scheinen – sei hier die größte Freiheit empfohlen, ein Wildern auch in den Begräbnisritualen aller Völker, Länder und Zeiten: Vom süßlich Katholischem der üppigen Grüfte, vom protestantisch ländlichen Gottesacker bis zur koreanischen Windbestattung der Seelen. Von der kunstvollen Mumie des alten Ägypten bis zur indianischen Baumbestattung. Vom spanischen Zeremoniell der Habsburgischen Hofbegräbnisse – der Ausschlachtung der Leiche mit anschließender Beisetzung ihrer Einzelteile. Von buddhistischen, hinduistischen oder sonstigen heidnischen Bestattungen in der reinigenden Kraft des Feuers, der Verstreuung der Asche im Ganges bis zur plumpsenden Seebestattung auf offenem Meer – oder für alle Ewigkeit bis zum Jüngsten Gericht: was liegt liegt...

Also der Möglichkeiten sind viele auch Kunst „unter die Erde“, „in die ewigen Jagdgründe“ zu bringen – deshalb und zu diesem Zwecke sei die Erde „geweiht“...

Viel Vergnügen – mit echter wie falscher Trauer!

(B. Rosner)